15 Okt Fahrzeit als Arbeitszeit?
Wann ist die Fahrzeit als ArbeitszeitArbeitszeit wird als Zeit definiert, die von Anfang bis Ende der Arbeit andauert. Ruhepausen werden dabei nicht berücksichtigt. Zur Arbeitszeit gibt es zahlreiche Varianten bezüglich der Dauer oder des Starts anzurechnen und muss entlohnt werden? Allgemein lassen sich zwei Grundsätze erkennen: Fahrten vom Wohnort zur Betriebsstätte und zurück müssen in der Regel nicht bezahlt werden, während für sogenannte betrieblich veranlasste Fahrten normalerweise eine Vergütungspflicht besteht. Es kommen aber auch immer wieder Spezialfälle vor. Hier können sich rechtliche Besonderheiten ergeben, die zu beachten sind.
Fahrten Wohnort – Kunde bei fehlendem festen Arbeitsort
Hat ein Arbeitnehmer keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort, müssen auch die Fahrten zwischen dem Wohnsitz des Arbeitnehmers und dem jeweils ersten und letzten Kunden des Tages als Arbeitszeit vergütet werden. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (Urteil v. 10.09.2015, Az. C 266/14).
Die beklagte Arbeitgeberin in diesem Fall war eine spanische Firma, die solche Fahrten vom Wohnsitz zum Kunden als RuhezeitenRuhezeiten sind festgelegte Zeiträume, in denen Fahrer von gewerblichen Fahrzeugen gesetzlich verpflichtet sind, ihre Arbeit zu unterbrechen und auszuruhen. Diese Vorschriften dienen der Sicherheit im Straßenverkehr und dem Schutz der und nicht als Arbeitszeiten berechnet hatte. Die bei dieser Firma beschäftigten Techniker warten und installieren Sicherheitssysteme und fahren hierzu mit Firmenfahrzeugen zu den Kunden. Da die Firma zuvor ihre Regionalbüros geschlossen hatte, starten die Techniker die Fahrten zu den Kunden von ihrem jeweiligen Wohnort aus.
Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs durfte die Arbeitgeberin die Fahrten nicht als Ruhezeit ansehen. Ein solches Vorgehen laufe den Zielen der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88), zuwider. Die Ziele sind insbesondere die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeitszeitgestaltung. Die Arbeitnehmer hätten in diesen Fällen nicht mehr die Wahl, ihr Privatleben und ihren Wohnort auf die Nähe zu ihrem Arbeitsort auszurichten, da dieser sich täglich ändere.
Der Umstand, dass die Arbeitnehmer in einer Situation wie dieser diese Fahrten an ihrem Wohnort beginnen und beenden sei eine unmittelbare Folge der Entscheidung ihres Arbeitgebers, die Regionalbüros zu schließen, und nicht Ausdruck des Arbeitnehmerwillens. Es könne ihnen nicht auferlegt werden, die Folgen der Entscheidung ihres Arbeitgebers, diese Büros zu schließen, zu tragen.
Tarifvertrag vs. Betriebsvereinbarung
Auch tarifvertragliche Regelungen sind zu beachten. Laut einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil v. 18.03.2020, Az. 5 AZR 36/19) sind Regelungen in einer Betriebsvereinbarung, welche die vergütungspflichtigen Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters verkürzen, unwirksam, wenn die betreffenden Zeiten nach den Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags uneingeschränkt der entgeltpflichtigen Arbeitszeit zuzurechnen und mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten sind.
In diesem Fall war der Kläger als Servicetechniker im Außendienst tätig. Laut dem einschlägigen Tarifvertrag waren sämtliche Fahrzeiten des Klägers vergütungspflichtig. Die Betriebsvereinbarung sah davon abweichend eine Vergütungspflicht für Anfahrzeiten zum ersten Kunden und Abfahrtzeiten vom letzten Kunden nur dann vor, wenn sie länger als 20 Minuten dauerten. Nach Ansicht des Gerichts stehe dieser abweichenden Regelung die Tarifsperre nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG entgegen. Damit war die Betriebsvereinbarung insoweit unzulässig.
Keine Einschränkung der Arbeitszeit durch unverhältnismäßige Betriebsvereinbarung
Außerdem kann eine Betriebsvereinbarung, nach der Fahrzeiten von der Betriebsstätte zum Einsatzort nicht vergütet werden, wegen fehlender Verhältnismäßigkeit unwirksam sein. Dies zeigt ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 08.01.2021, Az. 12 Sa 1859/19). In diesem Fall besagte eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, dass Fahrzeiten von der Betriebsstätte zu Baustellen erst ab 1,25 Stunden als Arbeitszeit gelten. Dies hatte zur Folge, dass täglich erhebliche Wegezeiten anfallen konnten, die nicht vergütet wurden. Eine solche Regelung greife laut dem Gericht unverhältnismäßig in das arbeitsvertragliche Synallagma ein und sei daher unwirksam.
Hierbei wurde berücksichtigt, dass zusätzlich zu den unbezahlten Fahrten von bis zu eineinviertel Stunden auch der Weg zwischen Wohnort und Betriebsstätte ebenfalls nicht als Arbeitszeit gelten. Es entspricht zwar, wie oben bereits erwähnt dem allgemeinen Grundsatz, dass diese Fahrten nicht bezahlt werden. Aber „eine Kumulierung der Wegezeiten vom Wohnort zur Betriebsstätte und von dort zur Arbeitsstelle zu einer Gesamtbelastung des Arbeitnehmers mit vergütungsfreien Zeiten ist dagegen nach dem Verständnis der Kammer nicht mehr verhältnismäßig. Sie berücksichtigt allein die Interessen des Arbeitgebers, ohne auf die Interessen des Arbeitnehmers hinsichtlich der Relation zwischen vergütungsfreien Wegeaufwänden und Vergütungsansprüche begründenden eigentlichen Arbeitszeit hinreichend Rücksicht zu nehmen.“
Hinzu kam, dass die Bestimmungen aus der Betriebsvereinbarung mit einer arbeitsvertraglichen Absprache kollidierten. Nach dieser arbeitsvertraglichen Vereinbarung gehörten „die mit Fahrzeiten verbrachten Arbeitsstunden zu den bei Entgelt oder Arbeitszeitkonto zu berücksichtigenden Arbeitsstunden.
Daraus folgt, dass die Betriebsvereinbarung ungünstiger war als die vertragliche Absprache, wonach die in Rede stehenden Fahrzeiten zwischen Betriebsstätte und Einsatzort insgesamt als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu berücksichtigen sind.“
Diese arbeitsvertragliche Regelung habe unter dem Aspekt des Günstigkeitsprinzips Vorrang vor der Betriebsvereinbarung.